
Forscher haben die neuronalen Verdrahtungen in einem Fadenwurm digitalisiert und dem virtuellen Tier beigebracht, einen Stab zu balancieren.
Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans (C. elegans) sieht auf den ersten Blick eher unspektakulär aus: Er ist etwa einen Millimeter lang und verfügt über einen simplen Organismus. Jedoch ist es gerade seine Einfachheit, die ihn zu einem ausgesprochen beliebten Studienobjekt macht. Denn bislang ist sein Nervensystem das einzige, das Wissenschaftler vollständig analysieren konnten. In der Folge war es möglich, ihn als Schaltplan aufzuzeichnen und in einem Computerprogramm nachzubilden. Das heißt: Die Nervenaktivität des Wurms wurde eins zu eins auf den Computer übertragen. Den künstlichen C. elegans haben Forscher nun gezielt trainiert und ihm beigebracht, einen Stab auf seiner Schwanzspitze zu balancieren.
Normalerweise ist dieser Fadenwurm vornehmlich damit beschäftigt, Bakterien zu fressen. Im Boden lebend genügen ihm lediglich 302 Neuronen und rund 800 Verbindungen im Nervensystem, denn er muss keine herausfordernden kognitiven Aufgaben lösen. Seine Orientierung basiert auf Reizen aus der unmittelbaren Umgebung und geschieht reflexartig: Stößt der Wurm gegen ein Hindernis, bewegt er sich instinktiv in die entgegengesetzte Richtung. Dieses Verhalten ist in seinen Nervenzellen sowie der Stärke der Verbindungen zwischen ihnen fest angelegt. Aufgrund dieser Tatsache reagiert ein simulierter C. elegans mit einem entsprechend nachempfunden Reflex-Netzwerk identisch, wenn er mit einem virtuellen Hindernis zusammenstößt.
Dressierter Fadenwurm wirft elemtare Fragen auf
Die Aufgabe, die der Wurm mit diesem einfachen Schaltkreis löst, hat eine starke Ähnlichkeit mit einem klassischen Problem aus der Technik: dem Balancieren eines Stabs. Je nachdem, in welche Richtung dieser zu kippen droht, führen beispielsweise entsprechend entwickelte Roboter eine Gegenbewegung aus. „Mithilfe von ‚bestärkendem Lernen‘, einer speziellen Methode aus dem Bereich des maschinellen Lernens, wurde das künstliche Reflex-Netzwerk am Computer trainiert und optimiert“, so Radu Grosu, einer der verantwortlichen Wissenschaftler. Das Ergebnis sei ein Controller, der ein reales technisches Problem lösen kann, ohne dass ein Mensch jemals eine einzige Zeile Code dafür geschrieben hätte, erklärt Mathias Lechner, ein weiterer Autor der Studie.

Die Fähigkeiten dieses und ähnlicher Controller-Schaltkreise will das Forscher-Team in Zukunft noch weiter untersuchen. Doch natürlich werfen Projekte wie der digitalisierte C. elegans auch fundamentale Fragen auf, etwa: Wo beginnt Leben oder Bewusstsein und was ist der Unterschied zwischen Maschinellem Lernen und dem, was in unserem Gehirn passiert? Der Technischen Universität in Wien zufolge dürfte es dem Fadenwurm zwar „herzlich egal sein, ob er mit seinem simplen Nervensystem im Boden oder als virtueller Wurm auf unserer Computerfestplatte wohnt“. Auf komplexere Lebewesen oder gar einen Menschen mit einem Gehirn mit rund 100 Milliarden Nervenzellen lässt sich diese Aussage aber wohl kaum übertragen.
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